Menschen mit Krebs werden heutzutage vor allem ambulant therapiert. Das bedeutet, dass sie häufig nur einige Stunden pro Woche mit Fachleuten des Gesundheitswesens in Kontakt kommen. Das OnkoMoveNurse-Projekt untersucht, ob und wie Pflegefachpersonen und andere Gesundheitsfachpersonen in onkologischen Tageskliniken die wertvolle Zeit des Kontakts nutzen könnten, um auf Basis der neusten verfügbaren Evidenz, körperliche Aktivität bei Menschen mit Krebs zu fördern.

Die Fachleute sind sich einig, dass körperliche Aktivität eine wichtige Rolle im gesamten Behandlungsprozess von zum Beispiel Menschen mit Lungenkrebs spielt1. Sich während der Behandlung in Bewegung zu halten, verringert belastende Symptome wie Husten und Atemnot und verbessert die Lebensqualität der Betroffenen2-5. Jedoch sind insbesondere Menschen mit Lungenkrebs zum Zeitpunkt der Diagnose weniger aktiv als gesunde Menschen. Und die körperliche Aktivität nimmt während der Behandlung sogar weiter drastisch ab6. Gründe dafür können ein schlechterer Allgemeinzustand mit Atemlosigkeit, Husten und Sauerstoffmangel sein7.  Menschen mit Lungenkrebs sollen während des Aufenthalts in der onkologischen Tagesklinik vor, während und nach der Therapie, wenn sie beispielsweise Chemotherapie oder Immuntherapie erhalten, unterstützt werden, sich körperlich zu bewegen, um mehr Aktivität in ihren Alltag zu integrieren.

Methodik

In einem Konsensprozess in Anlehnung an die Delphi-Methodik8 entwickelten ausgewiesene Expertinnen und Experten aus der onkologischen Pflege, Medizin, Physiotherapie, Sportwissenschaft sowie Betroffene in drei Runden ein Bewegungskonzept: 1. Fokusgruppeninterview, 2. Online Abstimmung, 3. Fokusgruppendiskussion. Die qualitativen Daten wurden mit der thematischen Analyse nach Braun & Clarke9 ausgewertet. Die Online Abstimmung erfolgte mit dem Online-Befragungstool Unipark der Firma TIVIAN10,11 und die Auswertung über IBM SPSS Statistics 28.12

Das Bewegungskonzept für eine ambulante onkologische Tagesklinik basiert auf drei Kernkomponenten:

1. Bewegungsübungen in einem modularen Aufbau

Der Bewegungskatalog besteht aus drei Modulen. Die Module werden für jede Tagesklinik passend mit Bewegungsübungen und  -einheiten bestückt, die dann das lokale Repertoire des behandelnden Teams bilden: Modul 1 leichte Übungen für jedermann und jedefrau, die in den Therapiealltag eingebettet werden (z.B. Schrittzähler am Empfang und Bezug darauf im Arztgespräch, beim Holen des Getränks und beim «Abstöpseln» (siehe Übungen «Schrittzähler»). Modul 2 enthält Übungen in milder Intensität, die während des Aufenthalts individuell ausgewählt und mit Unterstützung von Pflegefachpersonen oder anderen Gesundheitsfachpersonen durchgeführt werden. Modul 3 ist ein indikationsbasiertes gezieltes und professionell zum Beispiel durch Physiotherapeutinnen und -therapeuten angeleitetes Training, das für die meisten Institutionen wahrscheinlich erst entwickelt werden muss, da meist noch keine spezialisierten Angebote vorliegen.

2. Sicherheitskonzept

Um die Sicherheit zu gewährleisten, werden Kontraindikationen, Hygieneregeln, Vermeidung von Verletzungen und andere Risiken zusammengefasst. Jede Massnahme im Bewegungskonzept muss vom Sicherheitskonzept abgedeckt sein.

3. Das Kommunikationskonzept

Das Kommunikationskonzept ermöglicht den Teammitgliedern gemeinsam «an einem Strang zu ziehen». Es wird hier festgelegt, welche Personen welche Gesprächsinhalte zu welcher Gelegenheit in ihre Behandlungsroutine integrieren.

Die Umsetzung der drei Kernkomponenten orientiert sich an den Beteiligten und deren Miteinander:

4. Teamorientierung

Die Behandlung von Menschen mit Lungenkrebs wird in der onkologischen Tagesklinik von einem interprofessionellen Team durchgeführt. Teamorientierung bedeutet, dass jede Person im interprofessionellen Team zum Bewegungskonzept beiträgt. Dem Teamansatz liegt zu Grunde, dass für erfolgreiche Verhaltensänderung bei den Betroffenen Wiederholung und Bekräftigung durch verschiedene Fachpersonen aus dem Behandlungsalltag eine grosse Rolle spielen.

5. Personenzentrierung

Leitsätze und Haltungen des Teams gegenüber Bewegung werden in Beziehung zu Vorlieben, Erfahrungen und Möglichkeiten der Betroffenen gesetzt.

Die fünf Elemente sind obligatorischer Bestandteil des Bewegungskonzepts. Für die Ausgestaltung spielen aber der lokale Kontext, wie z.B. räumliche und regulatorische Rahmenbedingungen ebenfalls eine grosse Rolle. Im Bewegungskonzept wird für jedes Element beschrieben, welche Anpassungen vorgenommen werden sollten, um es für den jeweiligen Kontext passend zu machen.

Nutzen für die Betroffenen

Weg vom «Sollen» hin zum «Tun». Die Pflegenden können Menschen mit Lungenkrebs in der Tagesklinik und darüber hinaus helfen, Bewegung niederschwellig im Alltag zu integrieren.  Pflegefachpersonen und andere Gesundheitsfachpersonen auf der ambulanten Tagesklinik können ihr Repertoire an sicheren, niederschwelligen und wirkungs­vollen Bewegungsinterventionen für Menschen mit Lungenkrebs anhand des webbasierten «Bewegungskatalogs» erweitern und mit Hilfe des Bewegungskonzeptes in den Therapiealltag etablieren. Auf lange Sicht kann dies die Chancen der Menschen mit Lungenkrebs verbessern, die Symptombelastung vor allem Husten und Dyspnoe zu verringern und die gesundheitsbezogene Lebensqualität zu verbessern.

Wir möchten uns herzlich bei den Expertinnen und Experten aus der onkologischen Pflege, der Medizin, der Physiotherapie, der Sportwissenschaft sowie bei unserer Lungenkrebsbetroffenen für ihre großartige Unterstützung bei der Entwicklung unseres Bewegungskonzepts bedanken.

Literaturübersicht

1 Campbell KL, Winters-Stone KM, Wiskemann J, May AM, Schwartz AL, Courneya KS, et al. Exercise Guidelines for Cancer Survivors: Consensus Statement from International Multidisciplinary Roundtable. Med Sci Sports Exerc. 2019;51:2375–90.
2 Cavalheri V, Granger CL. Exercise training as part of lung cancer therapy. Respirology (Carlton, Vic.) 2020;25 Suppl 2:80–7.
3 Granger CL, McDonald CF, Berney S, Chao C, Denehy L. Exercise intervention to improve exercise capacity and health related quality of       life for patients with Non-small cell lung cancer: a systematic review. Lung Cancer 2011;72(2):139–53.
4 Ma R-C, Yin Y-Y, Liu X, Wang Y-Q, Xie J. Effect of Exercise Interventions on Quality of Life in Patients With Lung Cancer: A Systematic Review of Randomized Controlled Trials. Oncology Nursing Forum 2020;47(3): E58-E72.
5 Bernardo LM, Becker BJ (editors). Integrating Physical Activity Into Cancer Care. Pittsburgh, PA: Oncology Nursing Society, 2016.
6 Granger CL, McDonald CF, Irving L, et al. Low physical activity levels and functional decline in individuals with lung cancer. Lung Cancer   2014;83(2):292–9.
7 Lung Cancer Europe. 6 LuCE Report on lung cancer – Experiences and quality of life of people impacted by lung cancer in Europe. November 2021.
8 Häder M. Delphi-Befragung. Ein Arbeitsbuch. 2nd ed. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 2009.
9 Braun V, Clarke V. Using thematic analysis in psychology. Qualitative Research in Psychology. 2006;3:77–101. doi:10.1191/1478088706qp063oa
10 Unipark. Online Umfrage | Online Umfrage erstellen. https://www.unipark.com/, zuletzt geprüft am 06.02.2024.
11 Tivian DE. Marktführende Experience-Management-Software von Tivian. 04.11.2021. https://www.tivian.com/de/. Accessed 18 Nov 2021.
12 IBM SPSS Statistics. Online verfügbar unter https://www.ibm.com/products/spss-statistics, zuletzt geprüft am 06.02.2024.